Eine Hymne auf das britische Sunday Roast

Sunday Roast

Kaum etwas ist britischer* als Roastbeef. Traditionell wird es vor allem sonntags zum so genannten Sunday Roast serviert. Dazu gehören neben dem Fleisch mit Sauce, gebackene Kartoffeln, Yorkshire Puddings, Meerettichsauce, Karotten und Pastinaken. Auf der kulinarischen Reise nach Großbritannien werden wir also kein einzelnes Gericht, sondern ein ganzes Mahl zubereiten.

Joey, mein britischer Travel-Buddy

Sunday Roast TeamMit wir meine ich Joey und mich. Joey ist Halb-Engländer und wir sind schon seit dem Kindergarten befreundet. Klar, dass wir gemeinsam nach Großbritannien reisen. Dafür hat er nicht nur das Rezept von seiner Mutter organisiert, sondern mich auch noch zum Kochen in seine Küche eingeladen (einzige Bedingung meinerseits: der Thermomix bleibt aus). Und er hat ein paar hungrige Menschen organisiert, die am Ende zum Essen kommen. Aber dazu später mehr.

Eine Hymne für Roastbeef

Bevor es an die Töpfe geht, erst noch zur Geschichte des Gerichts. Wusstet ihr, dass es eine Hymne für Roastbeef gibt? Es ist die Ballade „The Roast Beef of Old England“ von Henry Fielding aus dem Jahr 1731. Dort heißt es:

When mighty Roast Beef was the Englishman’s Food, it enobled our Hearts and enriched our Blood; our Soldiers were brave and our Courtiers were good. Oh, the Roast Beef of old England […].“

Das „mächtige Roastbeef“ adelte also die Herzen der Engländer und bereicherte deren Blut. Früher wurde die Ballade in Theatern und bei Festessen gesungen, heute wird sie gespielt, wenn sich Offiziere der Königlichen Marine zum Abendessen in die Messe begeben. Hier könnt ihr das Lied bei Youtube hören.

Roastbeef gilt als Nationalsymbol

Die Briten singen aber nicht nur eine Ode an ihr Roastbeef, sie identifizieren sich sogar damit. Das habe 2004 eine Umfrage der BBC ergeben und das sei schon seit dem 16. Jahrhundert so, schreibt Dr. Menno Spiering in seinem Aufsatz „Food, Phagophobia and English National Identity„. Laut dem Historiker gibt es dafür mehrere Gründe. Zum einen wurde in England schon immer viel Rindfleisch gegessen, weil sich die Landschaft der Insel hervorragend zur Viehzucht eignet. Es gab also viel Rind, dadurch war es vergleichsweise günstig, was günstig ist, wird viel konsumiert und was viel konsumiert wird, wird zum Nationalsymbol. Klingt logisch. Aber das ist nicht alles.

Roastbeef - Sunday RoastDie Engländer stilisierten sich auch selbst gerne als „Beefeater“, weil Fleisch ein Symbol ist. Es ist ein High-End-Produkt. Je höher der soziale Status, desto höher der Fleischkonsum. Gerade im ewigen Konflikt mit den Franzosen war es deswegen ein gutes Mittel, um sich vom katholischen Erzfeind abzugrenzen. Und das nicht nur durch die verzehrte Menge, sondern auch durch die Zubereitungsart. Die „unnatürlichen“ und „unehrlichen“ Franzosen haben ihre Gerichte kleingehackt und vermischt. Im 18. Jahrhundert beschreibt der Engländer Robert Campbell die englische Küche dagegen als „plain and simple as our manners“. Klar und einfach, so wie die englischen Manieren. Ein typisches Roastbeef, das im Ganzen gebraten wird, zeigt also die Ehrlichkeit und Einfachheit der Protestanten.

Und warum wird es sonntags gekocht?

Das Sunday Roast hat seinen Ursprung in Nordengland, in Yorkshire um genau zu sein. So schreibt es der Guardian. Im späten 18. Jahrhundert haben Familien dort ihr Fleisch sonntags in den Ofen geschoben, bevor sie in die Kirche gingen. Als sie mittags wieder Zuhause waren, war das Fleisch gar und saftig. Wer keinen Ofen hatte, der konnte auf dem Weg zur Kirche einfach beim Bäcker vorbei gehen. Da sonntags nämlich kein Brot gebacken wurde, konnte man sein Fleisch in dessen Profi-Backstein-Ofen backen. Der Ofen wurde dafür nicht aufgeheizt, sondern kühlte noch vom Vortag ab. Daher kommt die niedrige Gartemperatur für Roastbeef. Was vom Sunday Roast übrig blieb, wurde den Rest der Woche dann wiederverwertet: Fleisch für Sandwiches und Pies, Kartoffeln für Püree.

Ohne Yorkshire Puddings kein Sunday Roast

The Art of CookeryYorkshire Puddings, von Joey liebevoll Yorkis genannt, kamen erst 1747 als Beilage zum Roastbeef dazu. Die Eierkuchen sind eine Erfindung von Hannah Glasse, Autorin des historischen Kochbuchs „The Art of Cookery Made Plan and Easy“. Sie werden unter dem Fleisch gebacken, weil sie dort den Bratensaft auffangen und aufsaugen. Die Zubereitung ist nicht einfach, man kann dabei viele Fehler machen. Den Backofen zu früh aufmachen, so wie ich zum Beispiel. Aber der Reihe nach.

Sunday Roast ist ein logistisches Meisterwerk

In einer fremden KücDer Plan für das Sunday Roasthe ist kochen gar nicht so einfach. Wenn es schnell gehen muss, weiß ich bei mir Zuhause auswendig, in welche Schublade ich greifen muss. Und gerade beim Sunday Roast passieren viele Dinge parallel, Fleisch und Beilagen müssen zum Beispiel gleichzeitig in den Ofen, aber mit unterschiedlichen Temperaturen. Deswegen nehmen Joey und ich uns extra viel Zeit und entwerfen als erstes einen Schlachtplan. Und zwar rückwärts vom Zeitpunkt des Essens gerechnet. Zur Sicherheit gibt es noch ein kurzes Gespräch mit seinem Onkel in England via Facetime und dann geht es los.

So macht man ein Sunday Roast

Wir bereiten erst das Gemüse vor, waschen, schälen und schnibbeln alles. Dann braten wir das Fleisch an und geben es mit Gemüse und Rotwein in den Ofen. Jetzt haben wir Leerlauf und Zeit zum Quatschen und Quatsch machen. Das Profilbild für „Fernweh geht durch den Magen“ ist dabei übrigens entstanden. Nach etwa einer Stunde kommen die Kartoffeln und das Gemüse mit in den Ofen. Ist das Fleisch fertig, wird die Temperatur beim Gemüse erhöht, damit es kross wird. Spätestens jetzt steht mir der Schweiß auf der Stirn. Denn gleich kommen die Yorkshire Puddings. Am besten macht man die in einem Muffinblech. Das muss eingefettet und zuerst ohne Teig im Ofen sehr stark erhitzt werden. Nur so geht der Teig später auf und es bildet sich die typische Mulde im Yorki, in die man dann die Bratensauce geben kann. Im Ofen sehen die Yorkis bei mir noch ganz gut aus. Trotzdem zittere ich ein bisschen.

Die Yorkshire Puddings sind im Ofen

Und dann verkacke ich es tatsächlich. Ich glaube, dass ich die Backofentür zu früh aufgemacht habe. Beim Rausholen fallen die Teilchen komplett zusammen und sind dann nur noch halb so groß. Später beim Essen merke ich auch, dass ein paar Minuten mehr dem Teig gut getan hätten. Der ist in der Mitte nämlich noch ein bisschen schlabberig. Aber hey, die typische Mulde kann man erkennen. Das bedeutet, das Blech war heiß genug.

Sunday Roast

Wie schmeckt Großbritannien?

Bis auf diesen kleinen Zwischenfall hat aber alles geklappt und der Runde scheint es zu schmecken. Es bleibt nichts übrig – ein gutes Zeichen. Mein persönliches Fazit ist natürlich ein bisschen kritischer: Das Fleisch war durch (vielleicht einen Tick zu sehr), die Kartoffeln waren angeröstet (vielleicht einen Tick zu wenig) und das Gemüse war schön süß. Insgesamt ist Sunday Roast ähnlich wie ein deutscher Sonntagsbraten ein sehr geselliges Gericht. Man redet viel am Tisch, reicht sich noch Sauce, gibt Beilagen herum. Und das beste ist, dass in dem Trubel keiner mehr von den verkackten Yorkis redet. Auch wenn die irgendwie zum Sunday Roast dazu gehören. Denn wie Joey mir versichert, passiert das seiner Mama auch immer mal wieder. So well!

Sunday Roast

*Gar nicht so einfach in diesem Post exakt auf den Unterschied zwischen „britisch“ und „englisch“ zu achten, weil Roastbeef natürlich ursprünglich englisch ist, heute aber in ganz Großbritannien und sogar in Irland typisch ist. Das heißt, heute identifizieren sich die Briten damit, damals natürlich vor allem die Engländer.  

Zutaten für Sunday Roast

Das Rezept für ein klassisches Sunday Roast mit allen Beilagen und einer Zutatenliste zum Nachkochen findet ihr hier.

 

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